Willem Dafoe im Interview

Einprägsame Gesichter haben viele Schauspielerinnen und Schauspieler, doch kaum jemandes Antlitz ist so unvergesslich wie das von Willem Dafoe. Seit über 40 Jahren verdankt der Amerikaner nicht nur, aber auch diesem Gesicht seine Karriere – und sah schon im zarten Alter von 20 Jahren ungewöhnlich eindringlich aus, wie man auf YouTube bewundern kann. Dort findet sich ein kleiner Clip aus dem Jahr 1975, als Dafoe gerade sein Schauspielstudium abgebrochen und sich dem Theatre X angeschlossen hatte, einer experimentellen Theaterkompanie in Milwaukee. Die Haare waren damals noch schulterlang und blond, das Gesicht noch weniger hager und faltenfrei. Doch die eindringlichen Augen, die markante Nase und der große Mund zogen schon damals alle Blicke auf sich. In seinem Heimatstaat Wisconsin hielt es Dafoe, eines von acht Kindern einer Krankenschwester und eines Chirurgen, nicht lange aus. Wie alle, die sich in den USA auf der Bühne beweisen wollen, zog es ihn nach New York. Dort war es allerdings weniger der Broadway, der ihn reizte, als die Szene abseits des Mainstreams. Bald lernte er die Regisseurin Elizabeth LeCompte kennen und lieben (die beiden waren von 1977 bis 2004 liiert und haben eine Tochter), und gemeinsam mit anderen gründeten sie die Wooster Group, eine nicht-profitorientierte Theatergruppe, die sich auf wagemutige, sperrige Bühnenprogramme spezialisierte.

Als Dafoe ab 1980 verstärkt auch vor der Kamera stand – zunächst etwa für winzige Rollen in „Heaven’s Gate“ oder den erotischen Vampirfilm „Begierde“ mit David Bowie und Catherine Deneuve – interessierte er sich eher selten für gefällige Massenware, sondern war immer auf der Suche nach dem Besonderen, nach abgründigen Rollen und wagemutigen Regisseur*innen. Für seinen Auftritt als heldenhafter Soldat in Oliver Stones „Platoon“ bekam er seine erste Oscar-Nominierung. Die anschließenden Rollen ab Mitte der achtziger Jahre hätten kaum unterschiedlicher sein können: Im hoch kontrovers diskutierten „Die letzte Versuchung Christi“ spielte er Jesus persönlich, in „Mississippi Burning“ einen FBI-Agenten im Kampf gegen den Ku-Klux-Klan, für David Lynch den Furcht einflößenden Psychopathen Bobby Peru in „Wild at Heart“.

Bösewichter oder mindestens zwielichtig und undurchschaubare Figuren hat er – nicht zuletzt dank des prägnanten, auch ein wenig unheimlichen Gesichtes – immer wieder gespielt, im Actionfilm „Das Kartell“ mit Harrison Ford genauso wie im Oscar-Gewinner „Der englische Patient“, in „Anatomie einer Entführung“ oder im Mega-Flop „Speed 2“. Und nicht zuletzt natürlich als Norman Osborn alias Green Goblin in Sam Raimis „Spider-Man“, seinem ohne Frage größten kommerziellen Erfolg. Fast genauso häufig stand Dafoe allerdings auch als Polizist und Ordnungshüter vor der Kamera, beim Sex mit Madonna in „Body of Evidence“ genauso wie für Spike Lee in „Inside Man“. Eine zweite Oscar-Nominierung erhielt er 2001, für „Shadow of the Vampire“, wo er den Nosferatu-Darsteller Max Schreck spielte. In den nächsten Jahren folgten zwei weitere für „The Florida Project“ (2018) und „Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“ (2019). In Sachen Vielseitigkeit, aber auch Fleiß hat der im Juli 65 Jahre alt werdende Schauspieler bis heute nichts eingebüßt, wie allein ein Blick auf die vergangenen 12 Monate zeigt: Auf das schwarzweiße Insel-Kammerspiel „Der Leuchtturm“, für das es zurecht Kritikerpreise regnete, folgten etwa Edward Nortons Romanverfilmung „Motherless Brooklyn“ (gerade auf DVD erschienen), das Schlittenhund-Abenteuer „Togo“ (zu sehen bei Disney+) oder der Politthriller „The Last Thing He Wanted“ mit Anne Hathaway und Ben Affleck (exklusiv bei Netflix).

Was Dafoe, der 2018 den Goldenen Ehren-Bären der Berlinale erhielt und seit 15 Jahren mit der italienischen Filmemacherin Giada Colagrande verheiratet ist, vor allem auszeichnet, ist seine Treue gegenüber jenen Regisseuren, mit denen er besonders gerne arbeitet. Je dreimal stand er zum Beispiel für Lars von Trier oder Julian Schnabel vor der Kamera; wenn im Herbst „The French Dispatch“ in die Kinos kommen wird, ist das bereits seine vierte Zusammenarbeit mit Wes Anderson, bei dem Dafoe wie sonst kaum seine komödiantische Seite ausleben darf. Doch mit niemandem arbeitet er enger zusammen als mit dem exzentrischen Filmemacher Abel Ferrara. Seit „New Rose Hotel“ (1998) haben die beiden sieben Filme miteinander gedreht, die beiden jüngsten erreichen das deutsche Publikum in diesen Tagen: „Tommaso und der Tanz der Geister“ (ab 16.7. auf DVD) und „Siberia“ (ab 2.7. im Kino). Zwei sehr spezielle Werke, die sicherlich nicht jedermanns Geschmack sind. Wie Dafoe schauspielerisch aufs Ganze geht und auch sein eindrucksvolles Gesicht einsetzt – das ist allerdings ohne Frage wieder sehenswert. (Fotos: Neue Visionen Filmverleih und Port au Prince Pictures)

Mr. Dafoe, was lieben Sie so sehr an der Arbeit mit Abel Ferrara?

Mit Abel ist es immer aufregend. Er ist der Regisseur, ich bin der Schauspieler, aber unser Verhältnis ist viel mehr als das. Nicht nur, weil wir Freunde sind. Bei ihm bin ich immer für alles mitverantwortlich, ich weiß über alle Details Bescheid, von der Finanzierung bis zum fertigen Film. Schon wenn er die erste Idee für ein Projekt hat, sagt er mir Bescheid und fragt nach meiner Meinung.

Wenn man so eng mit einem Regisseur befreundet ist und zusammenarbeitet, erwacht dann auch das eigene Interesse, mal hinter der Kamera Platz zu nehmen?

Oh nein, warum sollte ich plötzlich Regie führen? Ich bin eher ein Macher, nicht so sehr ein Planer. Anderen dabei zu helfen, eine Vision umzusetzen, das gefällt mir. Die Ideen von anderen statt meiner eigenen Wirklichkeit werden zu lassen, verleiht mir eine gewisse künstlerische Freiheit. Freiheit in dem Sinne, dass ich nur für mich und meinen Beitrag zu dieser Idee verantwortlich bin. Müsste ich immer das große Ganze im Blick behalten und auch noch die Verantwortung für ein ganzes Team vom Mitarbeitern übernehmen – das wäre mir zu viel. Da bin ich lieber Teil einer Gruppe!

Sie sind in kleinen Filmen wie diesem ebenso zu sehen wie in Comic-Blockbustern à la „Aquaman“. Wonach suchen Sie sich Ihre Rollen aus? 

Mir geht es eher selten ums Drehbuch, so viel kann ich sagen. Ein gutes schadet natürlich nicht, aber es ist selten das, was Kino ausmacht. Ein spannender Regisseur mit tollen Ideen ist viel wichtiger. Und für mich als Schauspieler kommen Faktoren hinzu wie: Wo wird gedreht und wie? Ich habe wirklich nichts gegen eine tolle Rolle in einem gelungenen Drehbuch. Aber das verhindert nicht automatisch einen platt-füßigen Film. Die Magie des Kinos, die es vom Theater oder Fernsehen abhebt, entsteht nie aus den Worten, sondern eher aus den Bildern, der Poesie und den Visionen, mit denen sie umgesetzt werden.

Aber eine gewisse Abwechslung haben Sie bei derart unterschiedlichen Filmen sicher auch im Blick, oder?

Na klar, Abwechslung ist immer wichtig. Wenn man zu lange in der gleichen Fahrrinne fährt, schleichen sich zu viele schlechte Angewohnheiten ein und man wird bequem. Das gilt es zu verhindern.

Ihre erste kleine Filmrolle spielten Sie in „Heaven’s Gate“, der in diesem Jahr 40 Jahre alt wird. Fühlt es sich manchmal so an, als hätten Sie in Ihrer Arbeit eigentlich alles schon einmal erlebt?

Interessanterweise ist das Gegenteil der Fall. Heutzutage ist es eher so, dass ich eigentlich bei jedem Film das Gefühl habe, meinen Job gerade zum ersten Mal zu machen. Keine Ahnung, was da in meinem Gehirn kaputt ist, aber plötzlich kommt da diese spannende Aufregung ins Spiel. Selbst wenn natürlich auch irgendwann meine sich aus Jahrzehnten der Erfahrung speisenden Instinkte anspringen. Insgesamt kann ich auf jeden Fall sagen, dass das Spielen immer interessanter wird, je älter ich werde.

Haben Sie dafür eine Erklärung?

Vielleicht liegt es unter anderem daran, dass ich inzwischen weiß: Es gibt verschiedene Wege, sein Ziel zu erreichen. Das entspannt mich sehr. Als ich noch jünger war, wollte ich immer unbedingt Antwor-ten, alles drehte sich um dieses Ziel. Heute kümmere ich mich mehr um den Weg. Da bleibt mehr Raum für Neugier und fürs Staunen. Das kann man richtig kultivieren. Anders als früher ist mir deswegen Langeweile bei der Arbeit heute im Großen und Ganzen fremd.

Aber ahnen Sie denn im Vorfeld, ob ein Film die Neugier, die Sie mitbringen, auch befriedigen wird?

Ich versuche natürlich, stets die richtigen Projekte für meine Bedürfnisse zu finden, aber eine Garantie gibt es nicht. Manchmal lässt man sich mit gewissen Erwartungen für einen Film verpflichten – und es kommt dann alles anders. Mal im Positiven, mal im Negativen. Aber genau aus dem Grund bin ich schon lange dazu übergegangen, meine Entscheidungen weniger von einer Rolle oder einer Geschichte abhängig zu machen als von den Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten werde. Das sind die Faktoren, die man nicht beeinflussen kann. Der Text und die Figur dagegen sind eher Blaupausen, die ich mir im Idealfall zu eigen mache.

Zum Abschluss noch einmal zurück zu Abel Ferrara und vor allem dem Leben in Rom: Warum sind Sie eigentlich nach Italien gezogen?

Der Liebe wegen. Hätte ich mich in eine Deutsche verliebt, hätte ich diesen Bezug womöglich zu Deutschland. Aber dank meiner Frau Giada ist es eben Italien geworden. Und der Rest hat auch nicht geschadet: das gute Essen, die Kultur und Architektur, eine tolle Nachbarschaft in Rom.

Leben Sie komplett dort?

Es ist unser Hauptwohnsitz, aber so viel, wie ich arbeite, bin ich vermutlich nur zwei Monate im Jahr dort. Und wir haben auch immer noch eine Wohnung in New York. Man könnte also sagen, dass wir pendeln. Aber als Zuhause empfinde ich längst Rom, da ist der Großteil meiner Familie und Freunde.

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