Als Amy Macdonald vor 13 Jahren ihr Debütalbum „This Is The Life“ veröffentlichte, brachte sie frischen Wind in die Musiklandschaft: Mit ihrem breiten schottischen Akzent, der spannenden Alt-Stimme und den selbst geschriebenen Songs zwischen Rock und Pop hob sie sich von vielen anderen Sängerinnen ab. Obendrauf hatte sie keine Lust, in sexy Klamotten aufzutreten und irgendein Image zu verkaufen. Sie wollte lieber sie selbst sein. Seitdem hat die 33-Jährige vier Alben aufgenommen und sechs Millionen Tonträger verkauft. Dabei wurde die Musik zwangsläufig irgendwann zum Job. Für ihr fünftes Album wünschte Macdonald sich deshalb einige Veränderungen. Mit einer neuen Plattenfirma im Rücken und Unterstützung von Produzent Jim Abbiss nahm sie zehn Songs auf, die vom Älterwerden und den Herausforderungen handeln, die einem das Leben vor die Füße wirft.
Im Titelstück Ihres neuen Albums „The Human Demands“ beschreiben Sie, wie ein Song dafür sorgt, dass man sich nicht mehr einsam fühlt. Wann ist Ihnen das zuletzt passiert?
Das passiert mir sehr oft! Vor ein paar Wochen ist mein kleiner Hund gestorben und ich war am Boden zerstört. Bin ich immer noch. Damals hörte ich mir den Song „Be My Baby“ von den Ramones an und fühlte mich sofort besser. Musik hat etwas sehr Heilendes und kann einem in Zeiten, in denen man sich nicht gut fühlt, wirklich helfen.
Wann haben Sie entdeckt, dass Musik diese Kraft hat?
Ich habe Musik immer geliebt, schon in jungen Jahren. Ich war vier, als ich zum ersten Mal ein Konzert besuchte. Michael Jackson war das. Meine Schwester und ich liebten ihn damals. Später, als ich zur Grundschule ging, bekam meine Schwester Keyboard-Unterricht, und ich schrieb ständig kleine Songs zu den Backingtracks, die man auf dem Keyboard abspielen konnte. Musik war also schon immer da. Sie hilft meiner Stimmung enorm.
Auch Ihr neues Album hat das Potenzial, Menschen zu helfen, denn Sie beschäftigen sich hier mit großen Themen: Es geht ums Älterwerden und Herausforderungen, die einem das Leben vor die Füße wirft.
Es ist ein sehr reflektiertes Album, das stimmt. Ich bin jetzt Mitte 30. Eigentlich ist das nicht alt, aber in der Musikwelt dann doch. Vor allem, weil ich das schon sehr lange mache. Da beginnt man automatisch, ein bisschen anders über gewisse Dinge zu denken. Für einige Leute kann das Leben echt schwer sein, und auf dem Album sind viele Ideen, die darauf basieren. Wir Menschen haben diese irrwitzigen Ansprüche – nicht nur an uns selbst, sondern auch aneinander. Wir erwarten, dass die Leute sofort auf Mails antworten, jeder soll 24 Stunden am Tag verfügbar und dabei bitte auch noch glücklich sein.
Sind wir so beschäftigt, dass wir unsere wahren Bedürfnisse manchmal aus den Augen verlieren?
Absolut. Alles dreht sich nur darum, seine Arbeit so schnell es geht fertig zu bekommen. Ich weiß, dass das wichtig ist, aber ich glaube, wir können in vielen Punkten bessere Wege finden und uns das Leben leichter machen – dieses Jahr hat das nur unterstrichen. Freundinnen von mir arbeiten seit März im Homeoffice und sind seitdem viel glücklicher. Das ist vielleicht das Gute, was das Jahr 2020 mit sich gebracht hat: Wir alle haben erkannt, was wichtig ist und was nicht.
Hat die Tatsache, dass Sie auf „The Human Demands“ so viel reflektiert haben, auch damit zu tun, dass Sie seit Ihrem letzten Album die 30 überschritten haben?
Mein 30. Geburtstag war für mich keine große Sache – eher die Tatsache, dass ich geheiratet habe. In meinem persönlichen Leben hat sich zwar nichts geändert, denn mein Mann und ich waren schon seit Jahren zusammen, aber es hat dazu geführt, dass ich ein wenig anders über gewisse Dinge nachdenke. Für unsere Hochzeitsfeier in Las Vegas sind 60 Menschen um die halbe Welt gereist und ich dachte nur: Wie toll, dass wir diesen Menschen so wichtig sind, dass sie für uns alles stehen und liegen lassen. Das hat mich sehr bewegt. Ich war schon immer eine Tagträumerin, die viel über Gott und die Welt nachdenkt. Unsere Hochzeit hat das noch verstärkt.
Ihrem Mann haben Sie den Song „Fire“ gewidmet – und gleich dazu gesagt, dass das der einzige Liebessong bleiben wird, den Sie je für ihn schreiben. Warum?
(Lacht) Ich bin keine große Romantikerin. Mir ist sowas eher peinlich und ich gehörte nie zu den Leuten, die Songs darüber schreiben, was für großen Liebeskummer sie haben oder wie verliebt sie sind. „Fire“ allerdings war der erste Song, den ich nach den Flitterwochen schrieb. Ich war super zufrieden und glücklich, und das kam einfach aus mir heraus. Als ich meinem Mann den Song vorspielte, wusste er natürlich sofort, wovon er handelt, und so entstand der Witz, dass ich meinte, das sei der erste und letzte Song, den ich für ihn schreibe.
„Strong Again“ ist eine Aufmunterung an all jene, die mit Depressionen zu kämpfen haben. Was hat es damit auf sich?
Leider habe ich einige Freunde, die ein paar schwere Jahre im Leben hatten. Man möchte ihnen so gerne helfen, aber es geht nicht. Ich habe in solchen Situationen immer das Gefühl, das Einzige, das ich tun kann, ist, Songs zu schreiben. Die Freunde, an die ich beim Schreiben dachte, haben das Stück noch nicht gehört, aber ich freue mich schon drauf, es ihnen vorzuspielen. Im Grunde geht es einfach darum, jemanden wissen zu lassen, dass man immer für ihn da ist.
„May the bridges I burn light my way“ heißt es in dem Stück „Bridges“. Sie waren ja immer jemand, der seinen Weg gegangen ist und seine Meinung gesagt hat. Handelt der Song davon?
Das tut er. Wobei ich zu Beginn meiner Karriere schon manchmal in Ecken gedrückt wurde, in denen ich mich nicht wirklich wohl fühlte. Aber ich war halt jung und verstand das Business nicht. Ich dachte, ich müsste zu allem ja sagen. Es gibt Situationen, in denen ich rückblickend gerne direkter gewesen wäre. Aber Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Heute sage ich immer, was ich denke – und die Welt wäre vielleicht besser, wenn das mehr Leute machen würden. Es ist völlig okay,
das zu tun was man selbst richtig findet und auf seinen Bauch zu hören.
Woher nehmen Sie das Selbstbewusstsein dafür?
Ich habe gelernt, dass niemand wirklich weiß, was er tut. Vor allem in der Musikindustrie. Man kann sich all diese schlauen Ratschläge anhören, aber am Ende sind doch alle nur am Improvisieren. Viel hat mit Glück zu tun und damit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Man kann also im Grunde gar nichts falsch machen. Ich finde, manchmal denken wir zu viel darüber nach, was andere denken.
Zurück zu „The Human Demands“: Das Album entstand mit dem legendären Produzenten Jim Abbiss. Was schwebte Ihnen hier musikalisch vor?
Ich hatte einen Plattenvertrag mit einem neuen Label unterschrieben und dadurch fühlte sich alles total frisch an. Ich glaube das hat mir in den letzten Jahren gefehlt. Es war irgendwie immer das Gleiche. Aber auf einmal hatte ich all diese Leute um mich herum, die super motiviert waren. Irgendwann fiel dann der Name Jim Abbiss, und ich war sofort ganz Ohr, denn Jim hat einige der Alben produziert, die ich geliebt habe, als ich jung war. Wir verstanden uns auf Anhieb. Ich hatte keinen bestimmten Sound im Kopf – und ich glaube, genau deshalb hat es so gut geklappt. Ich war einfach offen für alles, und irgendwie entstand das Album wie von selbst. Die Aufnahmen haben wahnsinnig viel Spaß gemacht, und das lag sicher am Enthusiasmus von allen, die involviert waren.
Apropos Enthusiasmus: Wofür können Sie sich jenseits der Musik begeistern?
Das, was ich im Moment am meisten liebe, ist Gewichtheben. Ob Kreuzheben oder Kniebeugen, ich bin geradezu besessen davon. Mein Trainer war Champion im Powerlifting, und er hat mir beigebracht, stark zu sein. Man kennt seine eigene Stärke nicht, bis man es ausprobiert. So viele Mädchen in meinem Fitnessstudio heben ganz kleine Gewichte, und ich will immer zu ihnen gehen und sagen: Nimm mehr, du bist stärker als du denkst!
Gewichtheben ist jetzt nicht gerade ein Hobby, das man Ihnen auf den ersten Blick zutrauen würde …
(Lacht) Das stimmt. Ich hatte vor ein paar Monaten Freunde zu Besuch. Als die Fitnessstudios wegen Corona geschlossen waren, haben mein Mann und ich
uns eine Klimmzugstange gekauft, und unsere Freunde schafften nicht mal einen Klimmzug. Die haben ganz schön gestaunt, als ich einen nach dem anderen machte. Ich liebe es, stark zu sein. Für mich hat das etwas sehr Ermächtigendes.
Zu wissen, dass man physisch stark ist, macht das auch psychisch stärker?
Ich glaube schon. Aber auch die Endorphine, die man durch Sport produziert, sorgen dafür, dass man sich besser fühlt. Auch das ist ein Grund, warum ich Gewichtheben liebe: Ich weiß, wie gut ich mich danach fühle. Ich habe neulich noch gedacht: Wenn das mit der Musik mal irgendwann nicht mehr läuft, dann werde ich Fitnesstrainerin.