Mit einem Porsche 911 nach Zell am See zu fahren ist fast wie Eulen nach Athen zu tragen. Nur nicht so sinnlos. Denn Zell am See ist pures Porsche-Land. Hier, am Fuß der Schmittenhöhe, liegt das Schüttgut, sozusagen die Heimat der Familie Porsche ab den frühen 1940er Jahren. Hier wohnt Wolfgang Porsche manchmal, in der benachbarten Kapelle ruhen acht Porsche-Familienmitglieder dank einer Ausnahmegenehmigung des Landes Österreichs. Eine verpachtete Porsche-eigene Landwirtschaft befindet sich ganz in der Nähe, ebenso das Schloss Prielau, das der Porsche-Clan einst der Witwe von Hugo von Hofmannsthal abkaufte. Auf dem alten Flugplatzgelände veranstaltet der junge Porsche-Enkel Ferdinand seit zwei Jahren im tiefsten Winter das „GP Ice Race“. Aber das ist alles nicht unser Ziel im nagelneuen Targa – sondern das Studio von Porsche Design.
Zell am See ist auch die Urstätte des Studio F. A. Porsche und der Marke Porsche Design. Nachdem Ferdinand Alexander Porsche, genannt „Butzi“, als Porsche-Designchef die ewige Form des Porsche 911 designte, machte er sich 1972 selbstständig. Damals zogen sich alle Porsche Familienmitglieder aus dem operativen Geschäft zurück. Mit seiner Firma Porsche Design wollte er die Welt mit anderen Objekten als Autos schöner machen. Dazu baute er in Schüttgut-Sichtweite ein Haus im Pinzgau-Stil auf die grüne Wiese. Erst im Jahr 2000 kam ein moderner Gebäudeteil hinzu – erstens wurde mehr Platz benötigt, und zweitens war es Zeit für etwas mehr Repräsentanz am Platze, nachdem diverse Kunden an dem wenig auffälligen Gebäude in dem neu gewachsenen Ortsteil aus Versehen vorbeifuhren.
Wir steuern mit unserem 911 Targa 4S die Adresse Flugplatzstraße 29 an – natürlich nach Erkundung der Gegend und einem unvermeidlichen Abstecher zur benachbarten Großglockner-Hochalpenstraße, die ist mit ihren Serpentinen und unglaublichen Aussichtsplätzen wie gebaut für einen 911er. Uns empfängt herzlich der heutige Chef des Studio F. A. Porsche, Geschäftsführer Roland Heiler. Er führt uns zunächst in den Präsentationsraum. Hier stehen alte und junge Beispiele der Arbeit des Studios. Viele Projekte waren Aufträge, wie der Premium-Wasserkocher Tw91100 für Bosch-Siemens im Jahr 1997. Damals vermuteten Auftraggeber und Porsche Design, dass vielleicht 100.000 Menschen 200 Euro für so ein langlebiges, schönes Küchengerät ausgeben würden. Im Jahr 2005 waren dann eine Million Stück verkauft. Die Wiener Straßenbahn wurde vom Studio F. A. Porsche geformt ebenso wie der 400 Euro teure Adidas-Schuh „Bounce S“, von dem sich Silvester Stallone gleich ein Paar in jeder verfügbaren Farbe kaufte. Selbst beim Zahnarzt begegnet einem Porsche Design – so wurde mit dem Hersteller Morita eine ganze Dentaleinheit neu gestaltet. Für den Behandlungsstuhl wurden Ergonomie, Zuverlässigkeit und bestmögliche Modularität miteinander vereint.
Uns interessieren aber heute besonders die Projekte für die Lifestyle-Marke Porsche Design wie Uhren, Brillen, Fashion – Dinge, die teilweise mit Partnern hergestellt werden, aber unter dem eigenen Label vermarktet werden. Denn der Höhenflug der Firma begann mit einer Armbanduhr, dem schwarzen Chronographen 1 aus dem Jahr 1972. Spötter sprachen damals von „Beerdigungsuhr“, aber als Formel 1-Racer wie Clay Regazzoni und Mario Andretti stolz damit auftauchten und Tom Cruise sie in „Top Gun“ in die Kamera hielt, war der Erfolg programmiert. Das galt genauso für die „Yoko-Ono“-Brille mit absichtlich sichtbaren Verschraubungen oder die völlig spacige Skibrille „5600“ von 1976 mit Panoramablende – so einfach wie auffällig. Das alles wurde designt nach den Design-Grundsätzen des „Butzi“ Porsche. Die da in verkürzter Form lauten: Markenidentität durch technische Produkte; Alleinstellung durch technische Ausrichtung; Verbindung von klassischer Moderne mit Faszination und Emotionalität; Luxus durch Purismus; Faszination durch Technik und ingenieurhaftes Denken; Bewegung und Kinematik als sinnliches Erlebnis; Design orientiert sich an der inneren Struktur und Funktion eines Produktes; Ehrlichkeit und Kompromisslosigkeit; stets innovativ und konzeptionell. Und: Porsche Design ist zeitlos und von höchster Qualität.
Ein paar Zahlen verdeutlichen die „Macht“ von Porsche Design: Weltweit arbeiten 350 Menschen in der Firma, davon sind etwa 30 Designer. Es gibt sechs Standorte, Ludwigsburg ist dabei der größte. In Zell am See realisieren 20 Menschen neue Produkte. Die wichtigsten Absatzmärkte sind Europe, USA, der Nahe Osten und Asien. In weltweit mehr als 100 Läden werden die Produkte angeboten, auch wenn der Luxusmarkt momentan unter Corona kräftig leidet. Etwa ein Viertel der Kunden sind tatsächlich auch Porsche-Fahrer – der Rest meistens designaffine, finanziell gut ausgestattete Fans von Produkten, die einem nicht gleich beim ersten Blick ins Gesicht springen. Heiler konkretisiert: „Wir bieten Lebensbegleiter an, die erst auf den zweiten Blick ihre Bestimmung preisgeben. Unsere Kunden sind Menschen, die zeitloses und zugleich funktionales Design schätzen.“
Roland Heiler, 62 Jahre, in der Nähe von Göppingen geboren, nimmt uns mit zu einem Porsche Design-Erlebnis der besonderen Art: Wir fahren mit einer der zwei Gondeln der Schmittenbahn auf den Berg. Der Gag: Auch sie wurden von Porsche Design entworfen. Hier erzählt er uns seine Laufbahn: Nach der Schule begann er eine Lehre bei Porsche als Technischer Zeichner mit dem Ziel, Autodesigner zu werden. Seine Arbeit überzeugte Porsche, ihm ein Stipendium zu gewähren – die Firma schickte ihn aufs Royal College of Art nach London. Ab 1984 begann er seine Arbeit als Designer, bis er 1997 zu Audi als Leiter Exterieur Design wechselte. Nur drei Jahre später übernahm er das neue Porsche-Studio in Kalifornien – vor allem, um Kundeprojekte zu realisieren. Sein damaliger Chef holte ihn 2005 dann nach Zell am See als Geschäftsführer von Porsche Design: „Ein kleiner Kulturschock.“ Der inzwischen überwunden ist.
Das Büro und ursprüngliche Heiligtum von F. A. Porsche, ist in Zell am See konserviert worden und sieht noch genauso aus, wie zu der Zeit, als „Butzi“ Porsche es zum letzten Mal verließ. Dort stehen die Automodelle noch in der Vitrine, das Reißbrett wartet, die selbstgemalten Bilder seiner Kinder hängen an der Wand, seine Pfeifen liegen noch im Ascher auf dem Schreibtisch. Das Zimmer riecht sogar noch nach Tabakrauch. Schade, dass wir F. A. Porsche nicht mehr kennenlernen können. Was war er für ein Typ? Heiler beschreibt ihn als „innovationsfreudigen, zurückhaltenden Menschen, der die leisen Töne und bescheidenes Auftreten favorisierte, in der Sache aber sehr bestimmt und entschlossen war.“
Nicht ganz so entschlossen entern wir wieder unseren Targa, der uns zurück nach München zum Airport bringt, wo wir uns immerhin noch einmal in die vom Studio F. A. Porsche designte Flughafensitzreihe „Serie 8000“ lümmeln können. Roland Heiler macht uns den Abschied aber etwas einfacher, durch seine Ankündigung, dass die Porsche Driver‘s Selection „Masterpiece“-Reihe (Porsche 911-Details wurden hier vom Studio F. A. Porsche verfremdet, wie zum Beispiel: die Felgenwanduhr, zwei verschiedene Soundbars aus 911-Auspuffendtöpfen und zwei verschiedenen Bürostühlen unter Verwendung von 911- Originalsitzen) eine weitere Soundbar bekommen hat, und dass in zwei Jahren – wenn die Firma 50. Jubiläum feiert – ein echter Knaller kommt. Es bleibt also recht spannend im Porsche Design-Land. Link: www.porsche-design.com
Roland Heiler im Gespräch:
„Mich begeistern die einfachen Dinge im Leben“
Roland Heiler, Geschäftsführer Studio F. A. Porsche, spricht mit uns an seiner Schaffensstätte in Zell am See über die Firmenphilosophie, No-Go‘s und alles, was ihn fasziniert.
Herr Heiler, was ist die Philosophie von Porsche Design?
Vorrangig müssen Funktion und Ästhetik auf Augenhöhe sein. Das hat Prof. Ferdinand Alexander Porsche immer wieder gesagt und auch umgesetzt. Nicht akzeptabel für ihn waren Dinge, die einfach nur schön oder dekorativ aussahen. Deshalb sind viele unserer Produkte sehr minimalistisch gestaltet und kommen ohne Gimmicks oder modische Attribute aus. Langlebiges, ehrliches, funktionales Design steht bei uns über allem.
Klingt nach Bauhaus-Stil.
F. A. Porsche wurde davon tatsächlich stark beeinflusst. Er hat an der Ulmer Hochschule für Gestaltung studiert, das war die offizielle Nachfolgeinstitution des Bauhauses in Deutschland. Das Bauhaus hatte die Grundphilosophie,
dass Gestaltung nicht um der Gestaltung Willen stattfindet, sondern eine bestimmte Funktion erfüllen muss. Außerdem wuchs Porsche in einer Ingenieursfamilie auf. Da ging es vermutlich auch zuhause am Esstisch um Technik-Themen.
Welches Ihrer Produkte ist dafür beispielhaft?
Bei den Brillen können wir das zu 100 Prozent umsetzen durch einen Titanrahmen mit sichtbaren Schrauben. So gestalten wir die Dinge, die der Kunde während der gesamten Nutzung als etwas Zeitgenössisches und Modernes versteht und die auch nach zehn Jahren nicht komplett veraltet aussehen.
Ist Zell am See der richtige Standort für eine international arbeitende Designfirma?
Ich denke ja. Denn wenn man Produkte erschaffen will, die der Käufer sehr lange verwenden kann, dann darf man sich nicht auf Modeströmungen einlassen. Wir müssen also nicht in einer pulsierenden Großstadt sitzen, um möglichst keinen Trend zu verpassen. Im Gegenteil: Wenn man so sich abkoppeln kann von dem, was trendy ist, und sich trotzdem viele Gedanken über Produkte macht, dann haben wir sogar das Potenzial, Dinge zu erschaffen, die einen Trend starten.
Zum Beispiel?
Unsere schwarze Uhr. So etwas gab es vorher nicht – inzwischen hat fast jeder Hersteller ein derartiges Modell im Portfolio. Und unsere Produkte haben eine Wiedererkennbarkeit im Markt. Dafür gibt es ja die zehn Regeln von F. A. Porsche. Die fragen wir bei jeder Produktentwicklung ab. Besonders dann, wenn wir den Eindruck bekommen, eine Entwicklung geht in die falsche Richtung. Dann werden wir ganz schnell auf den Boden der Realität zurückgeholt.
Wie groß ist der Gedankenaustausch zwischen der Firma „Porsche Design“ und dem Design bei Porsche, dem Autohersteller?
Porsches Designchef Michael Mauer und ich tauschen uns regelmäßig aus, auch wenn wir ein monatliches Meeting nicht immer schaffen. In Weissach zeigt er mir, was Porsche gerade macht, und ich erzähle von unseren Plänen. Wir haben ein Gentlemen‘s Agreement: Alles, was Räder hat, läuft bei Porsche in Weissach, und alles, was keine Räder hat, bei uns. Es gibt eine regelmäßige Zusammenarbeit bei Uhren wie bei unserem neuen Custom-built Timepieces Programm: Mit dem Uhrenkonfigurator kann der Kunde aus dem Leder seines Porsche das Armband für seine Uhr fertigen lassen. Er kann die Außenfarbe seines 911 als Akzentfarbe der Uhr auswählen. Und der Rotor auf der Rückseite der Uhr repräsentiert die passende Felge.
Setzen Sie jede neue Idee um?
Bei Weitem nicht. Zweimal im Jahr veranstalten wir mit Designern und Produkt Managern einen Innovationsworkshop. Da werden viele unterschiedliche – auch verrückte – Ideen für unsere bestehenden Produktkategorien entwickelt. Einige sind sogenannte „Talking Pieces“, Produkte, die weniger unter dem Aspekt der Kommerzialität entwickelt werden, sondern bewußt als Kommunikations-Stücke positioniert werden, weil sie besonders gut zur Marke passen und den Anspruch der Innovation unterstreichen. Für die reguläre Vermarktung entstehen in den Kommunikationsworkshops meistens drei bis fünf kommerzielle Produktideen.
Und wie ist es mit neuen Kategorien?
Derzeit ist nicht geplant, weitere Kategorien zum aktuellen Sortiment hinzuzufügen. Wenn Sie uns mit anderen Marken vergleichen, sehen Sie, dass wir schon jetzt recht breit aufgestellt sind. Wer bietet schon eine so breite Palette an – vom T-Shirt bis zur hochwertigen Schweizer Uhr.
War das der Grund, warum Sie 2017 Frauenkleidung aus dem Portfolio geworfen haben?
Das Geschäft war für uns nicht profitabel. Die Marke Porsche Design stand bei den Damen nicht auf dem Einkaufszettel – sie ist am Ende wohl doch zu maskulin. Außerdem mussten wir erkennen, dass unsere männlichen Kunden zunehmend irritiert waren durch diese Ausrichtung. Wir haben die Markenflexibilität wohl zu stark ausgedehnt.
Gibt es für Porsche Design Grenzen des guten Geschmacks?
Es gibt in der Tat Dinge, die wir nicht tun. Wegwerfprodukte gehören dazu. Ebenso Artikel, die unserem Anspruch auf handwerkliche und Material-seitige Qualität nicht entsprechen oder den wesentlichen Elementen unserer Design-Philosophie widersprechen. Waffen zu entwickeln würden wir ablehnen, und eine Anfrage nach Christbaumschmuck haben wir vor einigen Jahren ebenfalls nicht positiv entschieden. Fürs Dekorative sind wir einfach nicht die Richtigen.
Was kann Sie persönlich begeistern?
Mich begeistert jeden Tag meine Familie – meine Frau und meine drei Kinder. Aber es begeistert mich auch, interessante Porsche-Typen wie Rod Emory oder Jeff Zwart zu meinen Freunden zählen zu dürfen. Nach dem Grundsatz: „Einfachheit ist die höchste Form der Vollendung“
faszinieren mich zudem die einfachen Dinge im Leben. Das gilt auch fürs Design. Und – last but not least, finde ich es sehr spannend, dass wir nach Jahrzehnten der Evolution im Mobilitätsbereich eine komplette Revolution miterleben.